Seit mehreren Tagen läuft in NRW die Diskussion um die Eröffnung der Schulen. Frau Ministerin Gebauer und Ministerpräsident Laschet gehen dabei einen gefährlichen, ja gesundheitsgefährdenden Weg für die Schulgemeinschaften. Nach der durch die Länder und Bundesregierung gemeinsam getroffenen Entscheidung, die Schulen (mit Ausnahmen der Abschlussklassen) ab dem 4. Mai 2020 wieder schrittweise zu öffnen, hat NRW die Schulen in diversen Schulmails über das weitere Vorgehen informiert.
Am Donnerstag (16. April) erklärte Frau Gebauer vor dem Landtag, dass Schülerinnen und Schüler, die sich vor Abschlussprüfungen befinden, ab dem 23. April wieder zur Schule gehen können, aber nicht müssen. Selbstverständlich haben sich die Kollegien landesweit auf diese Aussage verlassen und entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Die Ministerin sah darin ein „faires Angebot“. Die SPD in NRW kritisierte das Konzept schon als „nicht schlüssig“. Es ist verantwortungslos, die Abwägung zum Infektionsrisiko und Fürsorge für die Gesundheit der Familien auf die Schulen abzuwälzen.
Auf zentrale Abschlussprüfungen nach der zehnten Klasse wird in NRW verzichtet. Stattdessen soll eine individuelle Klassenarbeit als Ersatz dienen. Hierzu gibt es jedoch keinerlei Angaben zu Rahmenbedingungen wie inhaltlichen und formalen Aspekten (Länge, Aufgabenstellung etc.). Es stellte sich erstmals die Frage, ob Prüfungen für eine Landesregierung wichtiger sind als die Gesundheit der Schulgemeinden. Obwohl die zentralen Abschlussprüfungen ausgesetzt sind, bestehe die Schulpflicht aber weiterhin durch die freiwillige Teilnahme an Vorbereitungskursen mit neuen Lehrerinnen und Lehrern, die die Lerngruppen nicht kennen, da viele Fachlehrerinnen und -lehrer risikobedingt nicht eingesetzt werden können. Am Abitur will die Landesregierung wie gehabt festhalten, hier ist die Teilnahme am Unterricht jedoch freiwillig.
Mit der Schulmail vom 18. April (Samstag, 18:17 Uhr) teilt das Ministerium mit, dass der Unterricht für die Abschlussklassen der Sekundarstufe I nun doch verpflichtend sei. Diese Mail stellt nicht nur die bereits geplanten Maßnahmen der Schulen auf den Kopf, sondern steht zusätzlich im krassen Gegensatz zur Äußerung des Städtetagvorsitzenden Thomas Hunsteger-Petermann (CDU), der selbst Schulöffnungen erst frühestens ab dem 27. April schrittweise für umsetzbar hält. Darüber hinaus entsteht der Eindruck, dass man sich bisher primär nur Gedanken über den Umgang mit den Abiturientinnen und Abiturienten gemacht hat.
Was bedeutet all das konkret für unsere Schulen?
Eine exemplarische Schule im Rhein-Kreis Neuss legt folgende Zahlen vor: Nach heutigem Stand (19. April 2020) werden mindestens 40% des Kollegiums risikobedingt ausfallen. Mit dieser Quote, die stellvertretend für viele Schulen in NRW steht, ist eine Umsetzung der unklaren Vorgaben des Schulministeriums schlichtweg nicht möglich. Ein Schulleitungsmitglied beklagte zudem, dass es keinerlei Abfragen zu räumlichen und personellen Bedingungen seitens des Ministeriums gegeben habe, was für eine organisierte schrittweise Rückkehr in den Schulalltag aber unerlässlich gewesen wäre.
Eine Lehrerin, die aus gegebenen Anlass anonym bleiben möchte, betont außerdem, dass man in NRW einen Mindestabstand von 1,5 Metern für ausreichend hält, in Berlin wiederum bestehe man aber beispielsweise auf zwei Meter Mindestabstand. Wie sind diese Unterschiede zu erklären? Weiter führt sie an: „Was hilft der Abstand zwischen den Schülerinnen und Schülern und den Lehrenden, wenn in den Bussen, Bahnen und auf dem Weg zur Schule keiner darauf achtet? Was ist es außerdem für eine Atmosphäre in der Schule, wenn jeder vor jedem zurückschreckt, jedes Niesen Angst erzeugt und die Lehrer nicht in die Hefte der Schülerinnen und Schüler gucken können, kein Beantworten von individuellen Fragen in Phasen der Erarbeitung, kein Ausgeben und Einsammeln von Texten.“
Anders, als man es von einer fürsorglichen Landesregierung erwarten würde, werden die Schulen weiter alleine gelassen. Angesprochen auf Ängste von Schülerinnen und Schülern antwortete Frau Ministerin Gebauer noch am 16. April in einem WDR-Interview, dass man Leitfäden für Lehrer erarbeite, wie Schülern Ängste genommen und mit Todesfällen umgegangen werden könne. Leider wird auf den ersten Blick oft übersehen, dass auch viele Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte im engen familiären Umfeld von Risikopatienten umgeben sind und so sich gegebenenfalls eine Infektion zu Hause verbreiten kann.
Landratskandidat Andreas Behncke (SPD) äußert sich zur aktuellen Situation wie folgt: „Das ist unverantwortlich. Frau Gebauer und Herrn Laschet ist die Gesundheit unserer Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer sowie allen Mitarbeitern der Schulen vollkommen egal.“
Was sagt es über eine Gesellschaft aus, dass in solch einer Extremsituation Prüfungen wichtiger sind als das Wohlergehen der Schulgemeinschaft?
Marcel Knuppertz, Vorstandsmitglied der SPD Rhein Kreis Neuss und selbst Lehrer einer Gesamtschule fasst die Situation so zusammen: „Der skandalöse Mangel an Fürsorge und Interesse unserer Ministerin ist symptomatisch für die mangelnde Fürsorge der gesamten NRW-Regierung. Nicht nur die Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, sondern alle an einem funktionierenden Schulalltag Beteiligten verdienen es, nicht als Versuchskaninchen für fatale Profilierungsversuche herhalten zu müssen. Jetzt rächt sich im Übrigen auch, dass die schwarz-gelbe Landesregierung die Kommunen und Schulen lange im Stich gelassen hat, was die Ausstattung mit sanitären Anlangen, digitalen Medien und Lehrpersonal angeht.“
Die SPD im Rhein Kreis Neuss appelliert dringend an die Landesregierung, die getroffenen Entscheidungen zu überdenken. Damit stehen wir in einer Linie mit Gewerkschaften, Eltern- und Schülervertretungen.
Wir bleiben dabei: Dieses Vorgehen ist verantwortungslos und hinterlässt bei den Beteiligten nur das Gefühl von Ohnmacht. Ohnmacht, nicht gehört und im Stich gelassen zu werden.