„Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten“

Haushaltsrede von Christina Borggräfe am 29. März 2023

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Landrat,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Krieg in Europa. Seit dem Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine ist nun mehr als ein Jahr vergangen. Ein Krieg, der gefühlt so weit weg ist und eigentlich ist er doch so nah. Ich bin ganz ehrlich: Für mich – für meine Generation, für viele von uns – vielleicht sind für uns Frieden und unsere daraus erwachsenen Privilegien viel zu selbstverständlich geworden.

Die Menschen in der Ukraine kämpfen jeden Tag für unsere europäischen Werte. Für Freiheit. Für Demokratie. Für Frieden.

Jetzt fragen sich sicherlich einige von Ihnen, warum ich diesen Einstieg für meine Rede gewählt habe?

Weil dies meines Erachtens ein essenzieller Baustein für die Frage ist, wie wir in Zukunft leben wollen. Unser Kreis ist weltoffen, friedenstiftend und tolerant. Und in all den Unterschieden, die es bei uns im Kreis gibt, bilden wir in unserer Vielfalt eine Gemeinschaft. Es geht um die Menschen, die bei uns im Rhein-Kreis Neuss leben. Trotz aller Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten gehören wir zusammen. Das hat auch das große zivilgesellschaftliche Engagement gezeigt, das nach dem 24. Februar letzten Jahres geleistet worden ist.

Vor diesem Hintergrund kann ich die zögerliche Haltung bei der Implementierung einer Projektpartnerschaft mit einer Kommune in der Ukraine leider absolut nicht verstehen. Gemeinsam mit den Kolleg*innen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben wir unseren Antrag im letzten Jahr auf den Weg gebracht, nachdem es einen Aufruf unseres Bundespräsidenten mit dem ukrainischen Präsidenten Selensky gegeben hat. Hieran wollten wir anknüpfen, um in der aktuellen Notlage zu unterstützen und perspektivisch Aufbauhilfen zu leisten. Ein Zeichen der Solidarität und der Gemeinschaft, das nach Möglichkeit in einer Partnerschaft mündet.

Dass wir stattdessen über eine Antrag befunden haben, der Partnerschaften ins Auge fasst, die primär themenspezifisch sind, geht doch an der Grundidee von Partnerschaften vorbei, in denen es um die Menschen und die Begegnung geht. Eine projektbezogene Partnerschaft kann lediglich eine Ergänzung sein. Dabei ist die im erwähnten Antrag gewählte Formulierung „auf Augenhöhe“ und „Win-Win-Situation“ ein Schlag ins Gesicht für unsere bestehenden Partnerschaften.

Ich möchte an die demokratischen Fraktionen appellieren, die Idee einer kommunalen Partnerschaft doch noch einmal ins Auge zu fassen.

Die Frage, wie wir leben wollen, steht und fällt mit dem, was wir konkret für und mit den Menschen in unserem Kreis umsetzen und in Zukunft gestalten wollen. Dabei spielen aus Sicht der SPD-Faktion die Themen Wohnen, Klimaschutz und Strukturwandel eine entscheidende Rolle.

Es ist vor allem der Strukturwandel, der uns im Vergleich zu anderen Kommunen besonders unterscheidet: Sicherlich die Herausforderung unser Zeit, aber auch gleichzeitig die Chance eine Vorreiterrolle bei der Transformation einzunehmen.

Für uns Sozialdemokrat*innen ist es dabei das Ziel, den Strukturwandel in unserem Kreis sozialverträglich zu gestalten. Das bedeutet, dass wir uns für eine aktive Arbeitsmarktpolitik einsetzen, die den Menschen eine Perspektive gibt. Dazu gehört die Förderung von Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Bereichen der Erneuerbaren Energien und der Digitalisierung. Dazu gehört es auch denjenigen, die jahrzehntelang besonderen Belastungen und Einschränkungen ausgesetzt gewesen sind, einen Ausgleich zu verschaffen. Diesen Ansatz verfolgen wir mit unserem Antrag zur Freiraumentwicklung im Bereich Welchenberg/Vollrather Höhe in Ergänzung zum Freiraumkonzept, das uns bereits vorgestellt worden ist.

Und weil der Landrat in seiner Haushaltsrede das Thema Gaskraftwerke, die auf Wasserstoff umgestellt werden können, – sprich H2-ready – so vorangestellt hat, möchte ich dies doch hier noch einmal kurz anreißen: Mir ist leider bislang in keinem Fachgespräch, das ich hierzu begleitet habe, die Aussage begegnet, dass die Umrüstung so „einfach“ funktioniert. Mal ganz abgesehen von dem Thema Infrastruktur. Das soll uns natürlich nicht davon abhalten dies grundsätzlich weiter zu verfolgen.

Wir als SPD-Kreistagsfraktion sehen den Kreis zudem in der Verantwortung seinen Beitrag zum Klimaschutz und zur Energiewende zu leisten. Unterlassener Klimaschutz kostet, vorbeugender hingegen spart Geld und sichert dabei unsere Lebensbedingungen im Kreis. Wir brauchen auf dem Weg zu mehr Klimaschutz die Unterstützung jedes Einzelnen, damit uns diese enorme Aufgabe gelingen kann. Und das funktioniert in der Regel dann am besten, wenn es uns als Politik gelingt Akzeptanz für Maßnahmen zu schaffen und einen persönlichen Nutzen aufzuzeigen. Dabei ist niemand näher an den Bürger*innen vor Ort als wir Kommunalpolitiker*innen. Wir können maßgeblich die Akzeptanz beeinflussen.

Dies kann zum Beispiel in Form eines Baumes aus dem Förderprogramm „Klimabäume“ geschehen: Jeder Baum, der aus dem Förderprogramm in einem Garten im Rhein-Kreis Neuss eingepflanzt wird, hilft dem innerstädtischen Klima- und Artenschutz.

Oder eine steckerfertige Photovoltaikanlage: Bislang konnten nur Eigentümer*innen von Immobilien durch die Installation von Solar- oder Photovoltaikanlagen umweltfreundlichen Solarstrom produzieren und nutzen. Mit unserem Antrag wollen wir nun den Personenkreis erweitern, damit auch Mieter*innen und Eigentümer*innen von Eigentumswohnungen hiervon profitieren.

Und apropos Immobilien: Wenn wir unseren Kreis für die Zukunft aufstellen wollen, muss es uns gelingen, bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen zu schaffen. Wir brauchen genügend Wohnraum für alle Einkommensschichten. Es kann nicht sein, dass wir nur noch Wohnraum für einkommensstärkere Gruppen bei uns im Kreis vorfinden. Bei uns muss genauso jemand Wohnraum finden, der in einem Start-up arbeitet wie eine Pflegekraft, ein Arzt/Ärztin, Metzger*in, Busfahrer*in oder Dachdecker*in. Aber auch Familien, Rentner*in oder Alleinerziehende müssen bei uns im Kreis Wohnraum finden können. Wohnen ist schlichtweg ein Grundbedürfnis.

Deshalb ist uns als SPD-Fraktion die Organisation des Fachforums „Bezahlbares Wohnen für alle Bevölkerungsschichten“ so wichtig. Mit der Service- und Koordinierungsgesellschaft haben wir sicherlich einen Schritt zur Unterstützung der Städte und der Gemeinde im Kreis auf den Weg gebracht. Zukünftig ist es uns als SPD-Fraktion wichtig, dass hier der Fokus auf den Bau von öffentlich geförderten Wohnungen gelegt wird.

Das allein wird aber angesichts der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt und der zunehmenden Knappheit jedoch nicht ausreichen. Die Wohnraumanalyse für den Rhein-Kreis Neuss hat die verschiedenen Bedarfe und Handlungsfelder aufgezeigt. Hieran wollen wir im Rahmen des Fachforums unter Einbeziehung aller relevanten Akteur*innen im Rhein-Kreis Neuss anknüpfen und Lösungen entwickeln, um die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen.

Meine sehr geehrte Damen und Herren,

es bleibt festzuhalten – für die Zukunft gibt es noch viel zu tun.

An konkreten politischen Entscheidungen werden wir uns messen lassen müssen: Einerseits braucht es ein sicheres finanzielles Fundament und andererseits braucht es den Mut den Rhein-Kreis Neuss für alle Menschen, die hier leben attraktiv weiter zu entwickeln.

Da halte ich es persönlich mit Willy-Brandt: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten“.

Für diesen Haushalt kann ich für meine Fraktion sagen: Der Haushalt ist solide. Er ist eine gute Grundlage für die weitere Arbeit in unserem Kreis. Mit einem Hebesatz von 31,5 Prozent können wir als Kreis mit Fug und Recht sagen, dass wir die Städte und die Gemeinde im Kreis nicht über Gebühr – insbesondere vor dem Hintergrund, der auch dort angespannten Haushalte – belasten. Die Stellungnahme der Bürgermeister*innen darf uns positiv stimmen. Dies ist scheinbar in der Vergangenheit auch nicht immer der Fall gewesen.

Dass sich unsere gemeinsame Initiative mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nun manifestiert hat, – die tatsächlich erzielten Jahresüberschüsse, den Kommunen schnellstmöglich wieder zur Verfügung zu stellen – ist ein Meilenstein. Umso erfreulicher ist, dass dies mittlerweile auf so breite Zustimmung stößt und der interfraktionelle Antrag hierzu zustande gekommen ist. Für die Zukunft bin ich sicher, dass wir gemeinsam einen Weg finden werden, um dieses Verfahren rechtssicher und planbar umzusetzen.

Ein Hinweis sei mir noch gestattet, bevor ich zum Schluss komme: Wir alle hier im Saal haben Verantwortung für die Zukunft des Rhein-Kreises Neuss. Diese kann auch angesichts der multiplen Krisen und einer angespannten Haushaltssituation darin liegen, Verzicht zu üben und sich auf die Dinge zu konzentrieren, die zentral und prioritär sind. Deshalb wäre der ein oder andere Antrag in diesen Haushaltsberatungen besser in der Schublade geblieben. Das hätte definitiv nicht geschadet.

Gleiches gilt auch für Anträge, für die der Kreis nicht wirklich zuständig ist. Die kommunale Wärmeplanung liegt bei den Städten und der Gemeinde im Kreis. Welche koordinierende Rolle der Kreis in diesem Zusammenhang übernehmen soll, hat sich mir auch nach der Debatte im Finanzausschuss nicht wirklich erschließen können; zumal auch nicht erklärt worden ist, dass es hier Bedarf seitens der kreisangehörigen Kommunen gibt. Ohne Frage das Thema Wärmeplanung ist wichtig, es ist sogar zentral, vor allem wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen. Aber in Anbetracht der Auslastung der Verwaltung nicht zwingend notwendig. Gleiches gilt für die Teilnahme am Projekt „Jeder Tropfen zählt“.

Dies sind inhaltlich ohne Frage gute Punkte. Aber ob man dies tatsächlich der Kreisverwaltung noch on Top aufladen sollte, möchte ich bezweifeln.

Zum Abschluss möchte ich mich im Namen meiner Fraktion bei der Verwaltung, insbesondere bei Herrn Stiller und seinem Team der Kämmerei bedanken; vor allem auch für die Unterstützung im fortlaufenden Prozess der Haushaltsberatungen. Das ist nicht selbstverständlich. Aber auch bei allen anderen Mitarbeiter*innen der Verwaltung, die teilweise zuletzt über das Maß durch die Politik in Beschlag genommen wurden. Ob dies immer so zielführend ist, lasse an dieser Stelle offen.

Den Kolleginnen und Kollegen – insbesondere im Finanzausschuss – möchte ich zudem für die intensive Debatte und konstruktive Zusammenarbeit danken.

Die SPD-Fraktion wird dem Haushalt zustimmen.

Vielen Dank.